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Kategorie: Audience Development für mehr Diversität im Team – Der Round Table #1 2019

Audience Development für mehr Diversität im Team – Der Round Table #1 2019

Ein Beitrag von Ulli Koch

„Die Gesellschaft ist bereits divers. Nur die Institutionen sind es noch nicht,“ war eine der Kernaussagen von Anne Wiederhold-Daryanavard, Brunnenpassage Wien, am 27. Februar beim ersten Round Table des Instituts für Kulturkonzepte in diesem Jahr. Im Fokus stand die Frage, welche Chancen sich für Kulturbetriebe heutzutage durch Audience Development und mehr Diversität im Team bieten. Ebenfalls eingeladen war Ulli Mayer von conzeptum, die diesjährige Verantwortliche für Kulturvermittlung im Shift Programm von Basis.Kultur.Wien. Innerhalb kurzer Zeit entspann sich im prall gefüllten Raum von mica – music austria eine intensive Diskussion, die im Folgenden als Frage-Antwort-Spiel wiedergegeben werden soll.

Doch zunächst ein Blick auf das Best-Practice-Beispiel der Brunnenpassage, dessen Abwicklung und Konzept den inhaltlichen Rahmen des Abends bildeten. Hierbei handelt es sich um das Projekt „Jump!Star Simmering“, eine Kooperation zwischen der Brunnenpassage, dem Weltmuseum Wien sowie dem Wiener Konzerthaus. Dieses interdisziplinäre Projekt, das 2020 in Simmering realisiert und von shift finanziert wird, bringt drei sehr diverse Institutionen in einen Bezirk, der als – nicht nur – kulturell vernachlässigt bezeichnet werden kann. Der Schwerpunkt dieses Projekts liegt auf der Kunstvermittlung, vertreten durch die Expertise von Ulli Mayer, die alle geförderten shift-Projekte inhaltlich im Bereich der Kulturvermittlung berät und bis zur finalen Durchführung begleitet. Zwei weitere Expertisen wurden durch Katja Frei vom Wiener Konzerthaus eingebracht, die dort die Kulturvermittlung leitet und Projektpartnerin bei Jump!Star ist, sowie durch Djamila Grandits, derzeit Stipendiatin des Startstipendiums des Bundeskanzleramts Österreich in der Brunnenpassage.

Wie können wir uns das Projekt Jump!Star in Simmering vorstellen? Gibt es (temporäre) Orte?

Anne Wiederhold-Daryanavard: Wir planen gemeinsam mit dem Wiener Konzerthaus und dem Weltmuseum Wien diverse Kunst- und Kulturaktivitäten für die Bevölkerung in Simmering. Es wird eine künstlerische Anlaufstelle geben, die für drei Monate an einem zentralen Ort angesiedelt sein wird. Im Fokus steht die Beziehungsarbeit. Wir möchten Menschen, die sich vorher fremd waren, zusammenbringen. Erreichen möchten wir KünstlerInnen und Schulen sowie die Gebietsbetreuung vor Ort. Es geht um Vernetzung von bestehenden Initiativen vor Ort und auch Vernetzung in die Innenstadt. Wir werden direkt am Enkplatz ein Büro haben und am Simmeringer Bildungszentrum, in dem bereits die VHS, die Büchereien Wien und eine Musikschule untergebracht sind. Wir möchten vor allem Menschen, die bisher wenig Zugang zu Kunst und Kultur hatten, dazu einladen, selbst an Veranstaltungen, Workshops und Projekten mitzuwirken. Jump!Star Simmering mündet dann in ein großes Festival im Juni 2020, an dem viele Teile der Bevölkerung mitwirken.

Anne Wiederhold-Daryanavard, Brunnenpassage (rechts)

Werdet ihr mit bestehenden Institutionen vor Ort kooperieren? Schließlich gibt es ja auch in Simmering kulturelle Orte.

Anne Wiederhold-Daryanavard: Selbstverständlich, schließlich wollen wir nur ein verbindendes Element sein, das bestehende Institutionen, deren AkteurInnen und die BewohnerInnen Simmerings zusammenbringt.

Mit welchem Kulturbegriff arbeitet ihr?

Anne Wiederhold-Daryanavard: Wir sprechen von Transkulturalität, da wir auch von einem Transformationsprozess ausgehen. Die westliche Gesellschaft ist von Diversität geprägt, was zwar herausfordernd aber auch wunderschön ist. Diese Öffnung für die gesellschaftliche Realität möchten wir in die Kunst und in den Kulturbetrieb tragen. Daher ist es uns ein Anliegen, nachhaltige dezentrale Räume zu etablieren, die mit den bestehenden Institutionen in Kooperation stehen, und in diese hineinwirken. Transkulturalität begleitet uns zudem bis in das Team hinein. Ich gehe davon aus, dass Öffnungen hin zu mehr Diversität von innen heraus passieren müssen. Und um der gesellschaftlichen Realität und Diversität gerecht zu werden, muss ich diese Diversität auch in meinem Team abbilden.

Ulli Mayer: Über Diversität und Fragen von kultureller Teilhabe und Zugangsmöglichkeiten nachzudenken, sind auch zentrale Aspekte in der Vermittlungsarbeit. So beschäftigen wir uns in den Kulturvermittlungs-Workshops, die ich mit allen shift-ProjektträgerInnen leite, bspw. mit Fragen, wie sich die Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt auch in den Projekten widerspiegeln kann, wo die jeweiligen Herausforderungen liegen und welche Möglichkeiten Kulturvermittlung bietet, um Zugänge zu öffnen.
Gerade auch wenn man sich mit Audience Development beschäftigt, finde ich es wichtig, sich kritisch mit Zielgruppenarbeit auseinanderzusetzen (wen will ich (nicht) ansprechen? für wen mache ich das?) und auch die Ebenen von Programmgestaltung und Personal mit im Fokus zu haben. In meiner Arbeit mit shift III geht es mir auch darum, einen Raum für gegenseitigen Austausch, Diskussion und Vernetzung zwischen den Projekten herzustellen, weil da oft schon sehr viel Wissen und Erfahrung da ist – auch das ist Vermittlung.

Djamila Grandits: Zusätzlich muss ich Räume in meiner Institution etablieren, in denen ich z. B. über Diversität diskutieren kann, vor allem auch, was diese im Team bedeutet. Es ist nicht ausreichend, einfach Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds anzustellen.

Anne Wiederhold-Daryanavard: Wichtig ist auch die Bereitschaft sich stetig weiterzubilden. Wir von der Brunnenpassage haben vor kurzem einen Online-Lehrgang zu rassismuskritischer Veranstaltungsorganisation absolviert. Es wäre nun leicht zu meinen, ja aber gerade die Brunnenpassage wird das doch wohl bis jetzt auch gut gemacht haben, aber bei jeder Fortbildung tauchen neue Aspekte auf. Welchen Titel wähle ich für eine Veranstaltung? Welchen Ort? Wie ist dieser zugänglich? Habe ich Räume der Reflexion?

Ulli Mayer: Ich stimme dem zu, an erster Stelle steht die Selbstreflexion einer Institution. Es geht dabei um die Frage, welche Machtverhältnisse in eine Institution eingeschrieben sind, welche Barrieren und Ausschlussmechanismen innerhalb der Institution vorherrschen. Als Kulturvermittlerin aber auch in meiner Rolle als diversitätsorientierte Organisationsberaterin bin ich daher daran interessiert, Konzepte und Strategien für eine kritische Diversitätspraxis im Kunst- und Kulturbereich zu entwickeln und umzusetzen, die eben diese Verhältnisse ins Wanken bringen. Ein Literaturtipp für die Praxis ist da beispielsweise die vor kurzem herausgekommene Handreichung „Vielfalt intersektional verstehen. Ein Wegweiser für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung„.

Katja Frei: Konfliktscheu darf man nicht sein, schließlich prallen dabei Welten aufeinander. Impulse zur Veränderung nach innen können bspw. durch Kooperationen kommen.

Ulli Mayer, conzeptum (rechts)

Welche konkreten Maßnahmen habt ihr ergriffen?

Katja Frei: Wir haben Workshops mit MitarbeiterInnen und anderen Stakeholdern, bspw. den Mitgliedern, durchgeführt. Aber es braucht auch eine Veränderung beim Publikum, das ebenfalls offen für Neues ist.

Wie kann ich mein Publikum zu mehr Offenheit bewegen?

Katja Frei: Wir von der Kulturvermittlung im Konzerthaus bieten ein Begleitprogramm an, das als Angebot verstanden werden soll, das genutzt werden kann aber nicht muss. Es geht dabei auch nicht darum, ständig neues Publikum zu erreichen, sondern alle Willkommen zu heißen, denn wenn das Haus sich öffnet, fühlen sich die Menschen mehr wahrgenommen. In den konkreten Workshops haben wir einen kreativen Ansatz, der uns Themen musikalisch diskutieren lässt.

 

An dieser Stelle noch ein Buchtipp: Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft – Transkulturelle Handlungsstrategien am Beispiel der Brunnenpassage Wien (Ivana Pilic / Anne Wiederhold)

Hier erfahren Sie, was das Institut für Kulturkonzepte noch zu Personalentwicklung anbietet – im Programm Der neue Kulturbetrieb.

Diversität
Audience Development für mehr Diversität im Team - Round Table #1 2019
Kategorie: Lernen von den Jüngsten! Kinder- & Jugendmuseen als Inspiration für eine zeitgemäße Museumspraxis

Lernen von den Jüngsten! Kinder- & Jugendmuseen als Inspiration für eine zeitgemäße Museumspraxis

Ein Beitrag von Andrea Zsutty

Das Jahr 2019 ist ein freudiges für das Institut für Kulturkonzepte: 25 Jahre werden gefeiert! Dass der Lehrgang Kulturvermittlung bereits seit 12 Jahren als zentrales Aus- und Weiterbildungsangebot am Institut verankert ist, sehe ich als große Bestätigung und motiviert mich, mit unseren Themen und Methoden weiterhin zukunftsweisend zu arbeiten.

Ein weiteres, wichtiges Jubiläum wird heuer begangen: Vor 120 Jahren wurde das weltweit erste Kindermuseum, das Brooklyn Children’s Museum, in New York eröffnet. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, einen Blick darauf zu werfen, was zeitgemäße Museums- und Vermittlungspraxis aus den Erfahrungen der Kinder- und Jugendmuseen lernen kann.

Pssst! Codes und Rituale

Ich möchte ein Erlebnis schildern, das verdeutlicht, in welchem Handlungsraum wir uns als KulturnutzerInnen oft befinden. Ein klassisches Konzert in einem traditionellen Musiksaal, vorwiegend interessiertes Publikum, das mit dem Werk vertraut ist – soweit ein bekanntes Setting. Im Saal befindet sich ein Kind, das zu klatschen beginnt, nachdem die MusikerInnen den ersten Satz beendet hatten. Sofort wird mit einem „Pssst“ die Beifallshandlung unterbunden. Die als allgemein bekannt vorausgesetzte Vereinbarung über einen bestimmten Verhaltenskodex ist dem Kind weder geläufig, noch ist ihm bewusst, dass dieser überhaupt existiert. Diese Szene ist in ähnlicher Weise ebenso denkbar in Museumsräumen, Theaterhäusern oder Literaturstätten mit AkteuerInnen jeden Alters.

Und genau an diesem Punkt kann ein Gestaltungsprozess einsetzen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir unsere Kulturinstitutionen zu attraktiven und sozialen Orten für Menschen aller Altersstufen und aller sozialen und kulturellen Schichten machen. Welche Codes brauchen wir überhaupt? Was, wenn tradierte Verhaltensweisen verändert oder verworfen werden? Droht dann wirklich der Untergang unseres kulturellen Erbes? Oder eröffnet sich dadurch eine Chance auf eine Neuverhandlung, mit dem Ziel eine tragfähige Beziehungsebene zwischen Institution und Publikum herzustellen? Kinder- und Jugendmuseen zeigen schon lange, wie Niederschwelligkeit auf hohem Niveau praktiziert werden kann. Lernen wir von diesen Museen, wo „richtig“ und „falsch“, in Hinblick auf die Rezeptionsmöglichkeiten, keine zwingenden Kategorien sind. Lernen wir von diesen Museen, wo Teilhabe, eigenes Erfahren und Erleben Grundvoraussetzungen in der Konzeption darstellen. Lernen wir von Museen für Kinder und Jugendliche und versuchen wir, das Transferpotential, das in ihnen liegt, für alle Kulturinstitutionen zu nutzen.

Kunstvermittlung
Foto: Institut für Jugendliteratur

Vorbildwirkung Kinder- und Jugendmuseen

Entscheidende Diskussionen werden im Kulturbereich darüber geführt, wie sich Diversität, Interkulturalität, Teilhabe und Inklusion in der Kommunikation mit den Menschen und in der Programmgestaltung von Kulturinstitutionen abbilden können. Kinder- und Jugendmuseen, wie das ZOOM Kindermuseum in Wien, stellen mit ihren Expertisen hierfür fruchtbare Lehr- und Lernfelder dar, denn Kinder und Jugendliche stehen gesellschaftlich genau inmitten dieser Kreuzungspunkte. Das Bedürfnis nach individuellem Erleben und Erfahren ist aber nicht nur ein Merkmal junger BesucherInnen. In Zeiten, wo Individualismus als wichtiger Wert angesehen wird und der Begriff der Selbstverwirklichung immer umfassender verstanden wird, wollen Menschen direkte Erfahrungen machen. Das eigene Erleben rückt vermehrt ins Zentrum des Interesses. Der Begriff „Infotainment“ erscheint dabei oftmals als Schlüssel, um Zugänge zu scheinbar schwierigen Inhalten zu erhalten. Grundlegendes Element einer jeden zeitgemäßen und reflektierten Museums- und Vermittlungsarbeit ist stets die Auseinandersetzung mit Modellen des lebenslangen Lernens. Dies geschieht im Sinne von Erfahrungen machen, Neugierde wecken und erhalten und die eigene Motivation stärken, um sich selbständig mit (neuen) Inhalten zu beschäftigen. Unterhaltung und Information verbinden sich dabei ganz selbstverständlich zu einer natürlichen Einheit.

Nahezu jede Kulturinstitution in Österreich verfügt mittlerweile über spezielle Programme für Kinder und Jugendliche. Nicht nur, um das viel zitierte und hoffnungsvoll aufgeladene „Publikum von morgen“ an sich zu binden, sondern vermehrt auch mit der Erkenntnis gepaart, dass Kinder und Jugendliche bereits das Publikum von heute sind – über die auch weitere, erwachsene Publikumsgruppen erreicht werden können. Wesentliche Unterschiede bestehen allerdings zwischen Kulturinstitutionen, die in erster Linie als Institutionen für Erwachsene konzipiert wurden und sich nachträglich durch gezielte Angebote an Kinder und Jugendliche wenden, und jenen Einrichtungen, die von Beginn an auf Kinder und Jugendliche als zentrales Publikum ausgerichtet sind. Während die einen oft noch am Aufbrechen alter, tradierter Strukturen arbeiten, zeigen die anderen bereits Möglichkeiten und Wege auf, wie eine zeitgemäße Aufbereitung von Inhalten aussehen kann. Aktive, selbständige und eigeninitiativ handelnde NutzerInnen von Kultureinrichtungen brauchen direkte Kommunikationsangebote und ernst gemeinte Einladungen zur Teilhabe. Deutungshoheit und Hierarchien müssen seitens der Institutionen abgegeben und abgebaut werden. Wenn dies als verbindliche Basis für ein wertschätzendes und fruchtbares Miteinander angesehen wird, erreichen wir die Menschen, die wir zu unseren Angeboten einladen wollen. Wird diese Basis jedoch nicht geschaffen, verlieren die Kulturinstitutionen den Kontakt zu den BesucherInnen von heute und werden das Publikum von morgen erst gar nicht erreichen.

Lernen wir daher von den Errungenschaften, die im Bereich der Kinder- und Jugendmuseen* bereits erzielt wurden und entwickeln wir daraus Visionen für neue Wege der Beteiligung von möglichst vielen Menschen an Kunst und Kultur.

*Kindermuseen weltweit: Association of Children’s Museum, Vereinigung europäischer Kindermuseen

Andrea Zsutty Kulturvermittlung Instiut für Kulturkonzepte
Andrea Zsutty

Andrea Zsutty ist Kunsthistorikerin und widmet sich seit 1996 der Kunstvermittlung. Im Bank Austria Kunstforum leitet sie die Abteilung für Kunstvermittlung, im Institut für Kulturkonzepte ist sie Lehrgangsleiterin für Kulturvermittlung, wo sie auch seit vielen Jahren unterrichtet. Als selbständige Kunst- und Kulturvermittlerin war sie in verschiedenen Ausstellungshäusern und Museen tätig, wie dem Palais Harrach, der Generali Foundation, dem Kunsthaus Köflach sowie dem KUNSTHAUSSUDHAUS Villach. Außerdem ist sie Redakteurin für diverse ORF TV-Formate.

Die nächsten Seminare mit Andrea Zsutty sind Grundlagen der Kulturvermittlung (1.-2. März 2019) und Vermittlungsprojekte (5.-6. April 2019). Melden Sie sich bei Interesse rasch an – die TeilnehmerInnen-Anzahl ist begrenzt!

Kindermuseen Andrea Zsutty 25 Jahre Kulturkonzepte
Foto © Ouriel Morgensztern | Belvedere

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