PHOBIA – Fotokunstprojekt 2019/20 – Teil I
Ein Beitrag von Itta Francesca Ivellio-Vellin
Seit 2016 findet jährlich ein Fotowettbewerb im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Institut für Kulturkonzepte und der Graphischen Wien statt. Auch in diesem Jahr haben wir uns Unterstützung bei der Auswahl des SiegerInnen-Projekts geholt: Die Jury bestand aus Larissa Cerny (Grafikerin), Edda Thürriedl (Kommunikation & Digitales, Belvedere), Corinna Eigner (Kommunikation bei Kulturkonzepte) und Itta Francesca Ivellio-Vellin (Kommunikationsassistenz bei Kulturkonzepte). In beratender Funktion war auch Bettina Letz (Lehrende an der Graphischen Wien) dabei.
Das Siegerinnen-Projekt heißt PHOBIA:
»Phobia – Über Ekel, Angst & Furcht« setzt sich grafisch sowie fotografisch mit Angststörungen auseinander, die sich in übertriebenem Maße gegen eigentlich ungefährliche Objekte richten und mit ausgeprägtem Vermeiden und intensiver Körperreaktion bei Konfrontation einhergehen. Der Fokus wurde auf atypische spezifische Phobien gelegt, die sich auf Strukturen, Materialien und Objekte beziehen. Diese wurden fotografiert, mittels Elektronenmikroskopie untersucht, zu Typo-Objekten geformt und in handgemachte Alphabete verarbeitet, welche wiederum als Vorlage für die Entwicklung von acht phobischen Schriften dienten. Entstanden sind neun Einzelhefte, welche als Sammelband zusammengefasst wurden. Neben einem allgemeinen Heft über Phobien, widmen sich die anderen acht jeweils einer spezifischen Phobie und einer davon betroffenen Person.
Das Projekt-Team besteht aus den Künstlerinnen Sabrina Wegerer, Melanie Asböck, Anna Niederleitner und Ronja-Elina Kappl. Alle vier sind Absolventinnen des Kollegs der Graphischen Wien. Die Fotos dieses Projekts werden auf unseren aktuell frisch gedrucken Foldern zum Lehrgang Kulturmanagement und zum Lehrgang Kulturvermittlung zu bewundern sein. Zu gewinnen gab es für das Team außerdem Plätze in unserer diesjährigen Sommerakademie für Kulturmanagement!
In einem zweiteiligen Interview erfahrt ihr, was hinter den Fotografien des Projekts PHOBIA steckt und warum die Künstlerinnen die Themen „Ekel, Angst und Furcht“ so faszinieren und welche Erfahrungen sie mit der Team- und Projektarbeit gemacht haben.
Warum habt ihr euch entschieden, Phobien und Ängste zu thematisieren?
SABRINA: Die erste Idee zu dem Projekt stammt ursprünglich aus einer reinen Wortspielerei, die ich mir spontan in mein Notizbuch geschrieben habe. Das war als ich vor drei Jahren in Berlin lebte und mich aus persönlichem Interesse mit Trypophobie (starke Aversion gegenüber Lochstrukturen) intensiv beschäftigte. Ich habe mir »Typographie + Trypophobie = Typophobie« notiert und gedacht, dass es spannend wäre, phobische Schriftkonzepte zu entwerfen. Bei dieser Idee blieb es vorerst – bis die Diplomarbeit auf der Graphischen näher rückte und ich beim Überlegen über mögliche Themen wieder mein altes Notizbuch hervorkramte. Die Thematik hat mich damals persönlich immer noch sehr beschäftig und es zeigte sich in Gesprächen mit anderen Menschen, dass es so viele spannende und ganz atypische Geschichten und Zugänge dazu gibt. Da sah ich die Diplomarbeit als Chance, diesen Geschichten eine Plattform zu geben und meine ursprüngliche Idee, eine phobische Schrift zu entwickeln, endlich zu verwirklichen.
Wie hast du dein Projektteam gefunden?
SABRINA: Auf der Graphischen ist es vorgesehen, Abschlussarbeiten im Team zu realisieren. Teams müssen aus zwei bis fünf Personen bestehen, wobei bereichsübergreifend gearbeitet werden soll. Ein Team soll zum Beispiel nicht nur aus SchülerInnen des Kollegs Grafik und Kommunikationsdesign bestehen. Da es wenige Berührungspunkte zwischen den verschiedenen Kollegs gibt, war ich anfangs unsicher, wie ich Personen finden kann, die mit mir gemeinsam zu der Thematik arbeiten möchten. Bei einer Projektwoche, an der alle Kollegklassen teilnahmen, gab es die Möglichkeit Themen vorzustellen. Da ich bereits eine relativ konkrete Idee hatte, hoffte ich, dass sich weitere Personen für mein Verständnis des Themas interessierten. Glücklicherweise waren das einige und durch persönliche Gespräche und erste Brainstormings hat sich unser finales Team formiert. Zu viert haben wir dann mein Ursprungskonzept weiterentwickelt, sodass Jede einen spannenden Zugang in ihrem jeweiligen Fachbereich dazu finden konnte.
Wie setzt sich das Team genau zusammen?
SABRINA: Das Team besteht aus zwei Grafikerinnen, Melanie und mir, sowie aus zwei Fotografinnen, Ronja und Anna. Wir haben alle unterschiedliche Arbeits- und Herangehensweisen in unseren jeweiligen Fachgebieten. Es war uns daher wichtig, für das Projekt ein solides Grundkonzept zu erarbeiten, das als roter Faden durch die Hefte, die am Ende herauskamen, getragen wird. Somit konnte Jede ihren Bereich weitgehend frei und abwechslungsreich gestalten. Trotzdem gelang es uns beim Zusammenführen des Materials ein kohärentes Projekt zu realisieren.
Was ist euer Projektziel?
SABRINA: Mit dem Projekt wollen wir einerseits Betroffenen eine Plattform bieten, ihre Geschichten und Erfahrungen zu teilen. Andererseits wollen wir damit die Möglichkeit bieten, das Thema Angst aus einem gestalterischen Zugang neu erfahrbar zu machen. Spannend waren für uns vor allem die theoretische Konzeptarbeit und die anschließende praktische Übersetzungsarbeit: Wie können wir als Fotografinnen und Grafikerinnen die Geschichten, die Gefühle, die Erfahrungen der Personen durch unsere visuellen Sprachen spürbar machen? Welche Inhalte treten dadurch in den Hintergrund, welche in den Vordergrund? In diesem Prozess haben sich spannende Fragen aufgetan und es war aufregend, diese in unseren jeweiligen Bereichen zu beantworten.
Was war organisatorisch die größte Herausforderung bei eurem Projekt?
SABRINA: Das Projekt ist sehr umfangreich und lebt durch seine unterschiedlichen gestalterischen Ebenen. Das war für uns als Gestalterinnen einerseits extrem spannend, da wir in einem Projekt mit unterschiedlichen Methoden und Techniken experimentieren konnten. Andererseits fordert diese Diversität an Zugängen einen konstanten kommunikativen Austausch sowie ein solides Zeitmanagement innerhalb der Gruppe. Da das Projekt über ein Jahr lief und wir nebenbei privat wie beruflich noch mit anderen Arbeiten beschäftigt waren – und das zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Projektprozess – war es nicht immer leicht, alles unter einem Hut zu bekommen.
Wolltet ihr von Beginn an ein Fotobuchprojekt machen oder hat es sich so entwickelt?
SABRINA: Unser Team liebt gut gestaltete Buchprojekte – vor allem die haptische Erfahrung, die damit gekoppelt ist. Da war von Anfang an klar, dass wir die Freiheit innerhalb des Diplomprojektes nutzen wollten, um ein Druckwerk zu produzieren. Es ist kein klassisches Buch geworden, eher ein Hybrid aus Buch, Magazin und Sammelband – das hat sich aber auch schon relativ früh im Prozess herauskristallisiert.
In den Foto-Heften gibt es auch Fotografien, die ihr mit dem Elektronenikroskop aufgenommen habt. Wie kam es dazu?
SABRINA: Es war nicht von Anfang an klar, ob ich neben dem Kolleg die zeitlichen Ressourcen für die Elektronenmikroskopien aufbringen kann, bzw. ob ich die technischen Mittel dazu zu Verfügung stehen habe. Glücklicherweise hat sich am Anfang des Projekts herausgestellt, dass die Realisierung von den Elektronenmikroskopie-Aufnahmen tatsächlich möglich ist. Wie genau sie jedoch eingesetzt wurden, wurde erst später im Prozess finalisiert.
Welche Gegenstände habt ihr unter dem Mikroskop fotografiert und warum?
SABRINA: Wir wollten die behandelten atypischen spezifischen Phobien auf verschiedenen Ebenen erforschen und visuell aufarbeiten – dazu zählte auch ganz nah an die Mikrostruktur der phobischen Materialien und Objekte zu gehen. Dies wurde mir am Arbeiten mit dem Elektronenmikroskop ermöglicht. Über einen Zeitraum von ca. drei Wochen habe ich auf Basis der Interviews mit den betroffenen Personen diverse Samples der Materialien und Objekte gesammelt. Die Samples waren natürlich spezifisch auf jede Phobie abgestimmt. Für die Metall-Phobie sammelte ich so z.B. u.a. Späne von unterschiedlichen Metallen, Metallstaub und rostige Metallstücke. Für die Watte Phobie legte ich u.a. ein Wattepad, ein Stück Schnürwatte, ein Tampon und Wattestäbchen unter das Mikroskop und bei der Lochstruktur-Phobie kamen vor allem unterschiedliche Schwämme zum Einsatz. Für jede Phobie sammelte ich zwischen fünf und zehn Samples, die dann anschließend im Labor mikroskopiert und fotografiert wurden.
Was waren die wichtigsten Learnings für euch, die ihr aus dem Projekt mitgenommen habt?
ANNA: Es war eine Bereicherung, dass sich die jeweiligen Personen uns gegenüber von einer sehr privaten Seite präsentiert haben und sich uns derart öffneten, um an dem Projekt mitzuwirken. Auch hat es mir gezeigt, wie wichtig die Interviews vor den Shootings waren, um mit den ProbandInnen eine Basis aufzubauen. Dadurch konnten wir deren Vertrauen gewinnen und sie fühlten sich vor der Kamera wohler.
MELANIE: Auch wenn dich der Druckermeister zu Beginn entsetzt anschaut: Es ist möglich ein Buch mit vielen verschiedenen Papiersorten umzusetzen – und es ist die Mühe wert!
RONJA: Ohne durchdachter Planung und ununterbrochener interner Kommunikation läuft im Team gar nichts.
SABRINA: Dass ich vor allem dann in einem Projekt voll aufgehe, wenn ich konzeptuell, handwerklich und mit neuen und überraschenden Materialien oder Techniken arbeiten kann. Ich weiß noch nicht genau, wo es mich mit dieser Erkenntnis beruflich in Zukunft hinzieht, aber ich bin froh, dass ich durch das Diplomprojekt diese Seite an mir neu entdecken konnte.
Bald veröffentlichen wir den zweiten Teil des Gesprächs mit den Künstlerinnen des Projekts PHOBIA! Einstweilen können Sie hier PHOBIA auf Instagram folgen.