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Tomáš Mikeska
Kategorie: Innovation „Einen Impuls setzen, der sich dann vermehrt.“ Interview mit Tomáš Mikeska über die erfolgreiche Crowdfunding-Aktion #filmretten 26.01.2017

Ein Beitrag von Ulli Koch

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© Filmarchiv Austria

Die Geschichte an sich ist ja schon bemerkenswert: Da findet eine Person auf einem Flohmarkt in Frankreich Filmaufnahmen und es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um verloren geglaubtes Material des Films „Die Stadt ohne Juden“ handelt. Dieser Film aus dem Jahr 1924, der auf den gleichnamigen Roman von Hugo Bettauer basiert, nimmt die Gräueltaten des Nationalsozialismus bereits vorweg und stellt damit ein wichtiges Geschichtsdokument dar. Das Problem: Der Film ist auf Nitromaterial festgehalten, das äußerst sensibel auf Umwelteinwirkungen reagiert und einen sehr geringen Brennpunkt aufweist. Es gilt also zu handeln. Und zwar schnell. Um die notwendigen Gelder für die Restaurierung aufzustellen, griff das Filmarchiv Austria – in dessen Besitz sich der Film befindet – zu einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Methode, nämlich Crowdfunding. Die Hintergründe und Strategie hinter diesem Projekt erläutert Tomáš Mikeska, Marketingverantwortlicher im Filmarchiv Austria und selbständiger Community Manager, im Interview mit Ulli Koch.

Warum Crowdfunding?
Diese Frage habe ich schon sehr oft gehört. (lacht) Das Filmarchiv Austria hatte für dieses Sonderprojekt keine Gelder im laufenden Budget und konnte auch nicht die dafür notwendigen Förderungen im Nachhinein aufstellen. Uns war aber klar, dass wir dieses wichtige Kulturerbe retten müssen, da das Material empfindlich ist und sich langsam anfängt zu zersetzen. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Filmrettung ist von Seiten des Bundes, sprich der Republik Österreich, sowie der Stadt Wien zwar da, jedoch fehlten auch hier die budgetären Mittel. Deswegen wurde an mich herangetragen einen alternativen Weg der Finanzierung zu planen, in diesem Fall eben auf die Zivilgesellschaft zu setzen.

Warum glaubst du war dieses Projekt so erfolgreich?
Es waren mehrere Aspekte, die im Voraus gut überlegt wurden. Auch die Zeit war die richtige. Es wurde uns zwar davon abgeraten die Kampagne politisch zu spielen, wir haben aber trotzdem den zu diesem Zeitpunkt laufenden Bundespräsidenten-Wahlkampf zwischen dem „grünen“ Alexander van der Bellen und dem rechtspopulistischen Norbert Hofer genutzt. Unser Aufhänger war, dass der Film die Themen Migration und Vertreibung aufgreift und letzteres darf einfach nicht mehr passieren. Diese Vorgehensweise wurde zwar kritisiert, jedoch glaube ich, dass es die richtige Entscheidung war, da es den Geist der Zeit anspricht. Aber es war ein Risiko, ein Grenzgang. Aber Kunst und Kultur müssen und dürfen Grenzen ansprechen, auf diese hinweisen und sie auch überschreiten, wenn es der Gesellschaft dienlich ist. Ich glaube, dass Kultur in diesem Fall durch Vermittlungsarbeit, durch die Präsentation inklusive kontextualisierendem Begleitprogramm, einiges bewirken kann. Ein weiterer Aspekt hinter dem Erfolg ist die bestehende Verdrossenheit mit der derzeitigen Kulturpolitik, die wir offen angesprochen haben, da das Projekt nicht von Bund und/oder Stadt rechtzeitig gefördert wurde. Und als dritter Aspekt: das Storytelling. In diesem Fall war es wichtig nicht nur die Geschichte des Films zu erzählen, sondern auch, was damit zusammenhängt, die gesellschaftspolitische Dimension.

Welche Kommunikationsstrategie hast du gesetzt?
Wir haben von Anfang an auf MultiplikatorInnen gesetzt. Das Zielpublikum des Filmarchivs ist nicht so aufgestellt, dass es die Kampagne alleine tragen könnte, wir mussten gezielt eine breitere Masse erreichen. Deswegen auch die Entscheidung politisch, kulturpolitisch und auf einer Storytelling-Ebene zu agieren. Wir hatten das Glück, dass uns sehr viele PartnerInnen aus dem Kultur-, Bildungs- und politischen Bereich von Anfang an ihre Unterstützung in der Kommunikation zugesichert haben. Die Grundstrategie war: Wir brauchen eine regelmäßige Berichterstattung in den gängigen Medien, im Social Web und MultiplikatorInnen, die in unserem Sinne Kanäle bespielen, die wir nicht bedienen. Wir haben bereits in der Vorlaufzeit eine sehr lange Liste an relevanten Personen und Institutionen erstellt, die wir um finanzielle oder kommunikative Unterstützung angefragt haben. Beispielsweise die Viennale, das Vienna Shorts Festival hier insbesondere Alexandra Valent, eine von mir geschätzte Kollegin im Marketing-Bereich, oder auch die Grünen auf Bezirksebene, die sich sehr für uns eingesetzt haben. Runtergebrochen war es unser Ziel immer wieder einen Impuls zu setzen, der sich dann vermehrt. Zu diesem Zweck habe ich auch Anne Aschenbrenner von den Kulturfritzen in mein Team geholt, die im Social Media Bereich stark vertreten ist und eine rege und große FollowerInnenschaft auf Twitter hat, ein Kanal, den das Filmarchiv eben selbst nicht bespielt. Das Filmarchiv Austria ist aber stark auf Facebook vertreten und konnte mit Beiträgen zu #filmretten die Reichweite sogar fast verzehnfachen. Das liegt natürlich auch an den MultiplikatorInnen, die unsere Beiträge geliket und geteilt haben und somit ein unverzichtbarer Teil der Grundstrategie waren.

Crowdfunding ist ja eine große Ressourcenfrage. Wie bist du damit auf finanzieller, personeller und zeitlicher Ebene damit umgegangen?
Finanziell gab es keine Mittel. Wir mussten wirklich effizient planen. Die Idee für das Crowdfunding kam von der Direktion, die das eher als Frage in den Raum gestellt hat. Ich habe es mir dann näher angesehen und erkannte, dass wir das ressourcentechnisch nicht machen können, weswegen ich zunächst Agenturen angefragt habe. Da kamen auch einige gute Angebote zurück, die aber unser Budget immer noch stark überschritten haben. Ich habe schließlich versucht einen effizienten und möglichen Alternativplan herauszuarbeiten, der u.a. eine geringfügige Teamerweiterung von zwei bis drei Personen vorsah. Und diese Unterstützung habe ich dann auch bekommen. Ich konnte mir mein Team selbst zusammenstellen, was sehr hilfreich war, da Vertrauen bei diesem Projekt eine wichtige Rolle spielte. Anne Aschenbrenner kenne ich schon lange, daher bat ich sie als Externe für den erweiterten Social Media Bereich dazu, Michaela Moitzi, die ihre Bachelorarbeit über Crowdfunding verfasst hat, und wie auch Christina Reithofer bereits davor geringfügig im Filmarchiv angestellt waren, wechselten zu mir ins Projektteam, in dem es klare Aufgabenteilung gab. Ergänzend leistete meine Kollegin Larissa Bainschab noch großartige Pressearbeit.

Zusammengefasst: Es braucht den Willen der Geschäftsführung und ein gutes Team.
Genau. Ich glaube das wichtigste ist, dass die Geschäftsführung die Leitung des Projekts der verantwortlichen Person überlässt. Sobald jede Entscheidung und Reaktion – vor allem im schnelllebigen Social Media-Bereich – abgeglichen und bewilligt werden muss, funktioniert es nicht. Es war demnach wichtig im Voraus abzuklären, ob die Direktion des Filmarchiv Austria hinter der Strategie und dem Projektplan steht und uns frei kommunizieren und (re)agieren lässt. Bei uns gab es nur sehr wenige Schleifen und Rückfragen mit der Geschäftsführung, daher konnte auch das Team gut selbstständig arbeiten und im Rahmen von regelmäßigen Teammeetings in kleiner Runde Strategien, Vorgehensweisen und Ziele für die kommenden Wochen besprechen.

Rückblickend betrachtet: Was war dein größtes Aha-Erlebnis und dein größtes Learning?
Das Learning hat noch nicht aufgehört. Das geht jeden Tag weiter. (lacht) Die Kampagne ist zwar von der Finanzierung her abgeschlossen, aber wir sind dabei die weiteren Schritte zu planen und vorzubereiten. Der größte Aha-Effekt war die Zusammensetzung der UnterstützerInnen, die nicht meinen eigentlichen Erwartungen entsprochen hat. Indirekt waren das über 800 Personen und Einrichtungen, die uns unterstützt haben, jedoch nicht alle über die Crowdfunding-Plattform weil das nicht alle tun wollten.

Was sind deine Tipps für Crowdfunding-Kampagnen im Kulturbereich?
Auf jeden Fall eine gute Vorplanung leisten und die Strategie immer im Blick haben. Dann muss stets klar sein, inwiefern das Projekt einen finanziellen und einen Marketing-Zweck erfüllen kann und soll. Es ist wichtig ein gutes, aktives Team hinter sich zu haben, denn alleine ist ein Projekt wie dieses nicht zu schaffen. Das beinhaltet auch Familie und FreundInnen, denn schafft man es nicht bereits diese vom Projekt zu überzeugen, so schafft man es auch bei der Crowd da draußen nicht. Für (Kultur-)Institutionen gilt: Unbedingt vorher mit der Geschäftsführung oder der Direktion abklären, dass die oder der Projektverantwortliche selbstständig handeln kann. Dann: Innovative Ideen entwickeln, wie in unserem Fall auf der Ebene des Storytellings, aber auch der Finanzierungsmotivation. Wir sind auf die inhaltlichen Aspekte eingegangen, die Geschichte des Films, die tragische Geschichte der Personen aber auch auf den Geist der heutigen Zeit und Matching-Fund einzusetzen war ebenfalls eine solche „innovative“ Idee. Wir haben hierfür mit einer anonymen Filmretterin kooperiert, die das Projekt mit maximal 20.000 € unterstützen wollte, jedoch nur wenn wir nachweislich und weiterhin möglichst viele Menschen erreichen und die Masse so zu einer aktiven Unterstützung durch Verbreitung oder Finanzierung motivieren. Im Gespräch mit der anonymen Filmretterin haben wir uns überlegt, dass in regelmäßigen Abständen jede Unterstützung von ihr verdoppelt werden könnte, als Belohnung für jede neue Unterstützung. Ab da waren unsere FilmretterInnen, wie wir unsere Backer nennen, noch motivierter das Projekt zu unterstützen, einfach weil sie gewusst haben, dass ihr Beitrag doppelt zählt. Und als letzteres: Einfach tun und alles geben, es ist eine dankbare und sehr persönliche Form des Fundings – genießt es.

Die erfolgreich durchgeführte Kampagne hier auf wemakeit ansehen

Alle Fotos © Filmarchiv Austria

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