Marketing: Kundenbeziehungen stärken statt Neukundenakquise
Ein Beitrag von Christian Henner-Fehr
Ich schreibe diesen Beitrag, während zum zweiten Mal in diesem Jahr die Kultureinrichtungen geschlossen sind. Im Unterschied zum Frühjahr, als alle in eine Art Schockstarre verfallen sind und dann reflexartig die Onlinekanäle gesucht und bespielt haben, machen sich jetzt viele Gedanken darüber, wie Kultureinrichtungen überleben können.
Genau darum geht es auch in diesem Video:
Zwei Aspekte spielen dabei in meinen Augen eine wichtige Rolle. Einerseits müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie sich digitale Kulturangebote monetarisieren lassen und andererseits sollten wir uns Gedanken über das Marketing in Coronazeiten machen.
In dem verlinkten Video erzählt Katrin Rönicke, wie sie mit Hilfe der Crowdfundingplattformen Patreon und Steady ihren Podcast „Wochendämmerung“ finanziert. Die beiden Plattformen unterscheiden sich von den klassischen Crowdfundingplattformen dadurch, dass hier keine Projekte finanziert werden, sondern man seine Fans um monatliche Unterstützung bittet.
Rönicke hat es im Laufe der Jahre geschafft, Menschen um sich zu scharen, die ihre Arbeit schätzen und auch bereit sind, dafür zu zahlen. Aktuell unterstützen sie 789 Menschen monatlich mit einem Gesamtbetrag von fast 4.500 Euro, kann man auf Steady nachlesen. Amanda Palmer ist ein anderes Beispiel, wie sich solche Plattformen nutzen lassen. Auf Patreon hat sie derzeit 14.345 Unterstützer*innen. Leider sieht man den Betrag nicht, der sich daraus ergibt, aber selbst, wenn jeder nur einen USD zahlen würde, wären das knapp 15.000 USD monatlich.
Was muss man tun, um eine ständig wachsende Zahl an Menschen dazu zu bringen, jemandem monatlich einen fixen Betrag zu überweisen? Da geht es im Fall von Künstler*innen nicht nur um die Qualität der Arbeit, sondern auch um Reputation und die Fähigkeit, sich in Netzwerken zu bewegen. Reputation verstehe ich in diesem Zusammenhang als eine Art soziales Kapital. Je mehr man davon hat, desto leichter ist es, andere Menschen davon zu überzeugen, das zu tun, was sie tun sollen. Also zum Beispiel eine Platte zu kaufen oder eine Theateraufführung zu besuchen. Die Künstler*innen sind in eine Art Vorleistung gegangen, sie haben „gute Arbeit“ geleistet und so das Vertrauen derer gewonnen, die sich für Musik beziehungsweise Theater interessieren.
Vertrauen ist, so denke ich, ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, jemanden als Besucher*in oder Kund*in nicht zu verlieren. Vertrauen ist ein ganz wichtiger Faktor in der Customer Journey, genauer gesagt in der Retention-Phase. Das ist die Phase nach dem Kaufabschluss, in der es darum geht, die Kund*in nicht zu verlieren.
Nicht nur Kultureinrichtungen vernachlässigen meiner Ansicht nach diese Phase in der Customer Journey. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr ich mich als Abonnent einer Tageszeitung darüber geärgert habe, dass Neukunden mit Rabatten oder attraktiven Geschenken angelockt wurden. Ich aber war schon seit Jahren zahlender Kunde und das Einzige, was ich bekam, war die Rechnung.
Ich bringe dieses Beispiel, weil die Tageszeitungen schon seit ewigen Zeiten auf das Abo-Modell setzen. Also genau das Modell, das gerade an Attraktivität zu gewinnen scheint. Denn nicht nur Plattformen wie Patreon oder Steady setzen darauf, auch Facebook bietet mittlerweile Seitenbetreibern ein ähnliches Modell an. „Fan Subscription“ wird leider in Österreich noch nicht angeboten, aber Nicola Kiermeier erklärt das Modell in ihrem Blogbeitrag am Beispiel des Fussballklubs FC Barcelona. Interessant ist, dass die zahlenden Fans automatisch für eine spezielle Gruppe freigeschaltet werden. Denn dort funktioniert die Kommunikation mit den Fans viel leichter als auf der Seite selbst.
Aber die Tageszeitungen sind auch Beispiel dafür, dass mit diesem Modell der Erfolg nicht garantiert ist. Wenn sich die Gewohnheiten der Kund*innen verändern oder die Inhalte nicht mehr passen, kann so ein Abonnement ganz schnell gekündigt werden. Aber die Nähe zu den Fans bei diesem Modell bietet ja auch die Möglichkeit, direkt mit den Fans zu kommunizieren und so herauszufinden, was gut ankommt und was weniger gut ankommt.
Aber dafür muss man Zeit aufwenden und sich auf diese Form der Kommunikation auch einlassen können beziehungsweise wollen. Und man muss die passenden Angebote entwickeln. Ob Kultureinrichtungen dies schaffen, wage ich zu bezweifeln. Mir ist in diesem Zusammenhang ein leider schon zehn Jahre alter Beitrag des amerikanischen Beratungsunternehmen TRG Arts eingefallen. Leider ist der Beitrag nicht mehr online, aber dank Diigo steht er mir noch zur Verfügung.
Darin wird festgehalten, dass Kultureinrichtungen nicht so sehr ein Problem mit neuen Besucher*innen haben, sondern nicht in der Lage sind, diese dazu zu bringen, ein zweites Mal zu kommen:
„The bottom line is this. In a data set of 5.3 million total households, 3.8 million stopped buying tickets during the five years we examined. They stopped donating. They don’t subscribe. They simply stopped. How can any industry survive when spending so much money recruiting new customers only to see them walk away in such huge number so quickly?“
Das bedeutet: Von vier Ticketkäufer*innen kommen fast drei nie wieder zurück. Ob bei uns die Zahlen im Jahr 2020 ähnlich ausschauen, weiß ich natürlich nicht. Nachdem bei uns Kultureinrichtungen aber ihre Marketingaktivitäten auch eher in Richtung neues Publikum ausrichten, vermute ich, dass bei uns die Lage nicht sehr viel anders ist.
Insofern ist die Idee, Menschen dazu zu bringen, Künstler*innen mit einem monatlichen Beitrag zu unterstützen, ein Schritt in die richtige Richtung. Ich muss mich als Künstler jeden Tag darum kümmern, dass ich keine Abonnent*innen verliere, was die Marketingaktivitäten automatisch in Richtung Retention-Phase lenkt.
Hinzu kommt: In der jetzigen Phase macht es keinen Sinn, neues Publikum zu werben, denn die Türen sind überall geschlossen. Aber es macht sehr wohl Sinn, sich um die zu kümmern, die schon einmal da waren. Nur so kann ich verhindern, dass sie mir nicht ganz verloren gehen. Das heißt, Kultureinrichtungen können die Zeit jetzt nutzen, um ihr Publikum, die Käufer*innen zu halten.
Sollte die Coronazeit irgendwann hoffentlich zu Ende gehen, ist es aber wichtig, dass das Augenmerk weiter darauf gelegt wird, Besucher*innen zu halten. Denn es gibt noch einen weiteren Grund, sich mehr um bestehendes Publikum oder um Kund*innen zu kümmern: Es kostet weniger Geld, Kund*innen zu halten als sie zu gewinnen.
Christian Henner-Fehr lebt und arbeitet als Kulturberater in Wien. Er betreibt das Kulturmanagement Blog und beschäftigt sich aktuell mit den Themen Content Marketing, Social Media und der digitalen Transformation von Organisationen in den Bereichen Kultur und Tourismus. Außerdem entwickelt er Digitalisierungskonzepte für Städte und Regionen.
Am Institut für Kulturkonzepte unterrichtet er unter anderem das Seminar Online-Marketing im Kulturbereich. Der nächste Termin dieses Seminars ist von 11.-13. Februar 2021 und findet online statt. Hier können Sie sich dafür anmelden!