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Kategorie: Gesellschaft & Kultur KULTUR UND KULTURPOLITIK IN ECUADOR 18.02.2015

Das Institut für Kulturkonzepte Hamburg spricht mit Christina Gleich über das kulturelle Leben in Ecuador. Cristina Gleich, 1980 in Porto Alegre, Brasilien, geboren, schloss 2006 an der Universidad Salesiana ihr Studium der Kommunikation mit Schwerpunkt Entwicklung ab. Parallel dazu absolvierte sie eine Schauspielausbildung an der Theaterschule Laboratorio Teatral Malayerba und arbeitete im Goethe-Zentrum Quito. 2010 nahm sie im Rahmen eines Projekts des Goethe-Instituts zusammen mit dem Institut für Kulturkonzepte Hamburg an einem Fortbildungsprogramm für Kulturmanager aus Ländern der Region Mexiko- Zentralamerika-Karibik und Südamerika teil. Zur Zeit ist sie DAAD-Stipendiatin an der Hochschule Osnabrück mit Abschluss Master in Management von Nonprofit Organisationen.

WELCHEN GESELLSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNGEN SIEHT DIE KULTUR IN ECUADOR ENTGEGEN BEZIEHUNGSWEISE WAS SIND FÜR DIE KULTUR IN ECUADOR DEINER MEINUNG NACH ZUR ZEIT DIE WICHTIGSTEN THEMEN?

In Ecuador gibt es eine vielfältige kulturelle Aktivität, die sich aber leider hauptsächlich in den größeren Städten konzentriert. Insofern besteht für mich eine der größten noch ausstehenden Aufgaben der ecuadorianischen Gesellschaft darin, den kleineren Städten und Dörfern Zugang zur kulturellen Manifestation zu verschaffen. Ein Programm für die Gegenwart und Zukunft müsste kulturelle Angebote in mehreren Orten ermöglichen, wie auch lokales kulturelles Schaffen unterstützen. Viele kulturell wichtige Ortschaften bleiben einfach in Vergessenheit, so dass nur ab und zu, wenn überhaupt, kulturelle Projekte vorbeikommen. Meistens handelt es sich dann um Künstler, die sich mit ihrer Kreativität und ihrem Unternehmungsgeist für lokale Kultur engagieren. An Förderung seitens öffentlicher Stellen dürfen sie sich jedoch kaum etwas erhoffen. Folglich kann man selbstverständlich mit einer Nachhaltigkeit solcher Projekte ebensowenig rechnen.

Auch im Bereich der Bildung muss noch viel gearbeitet werden. Einerseits sollte Kunst und Kultur im Grund- und Hauptschulwesen überhaupt ein Thema werden, und anderseits müssten mehr Mittel für die Ausbildung von Künstlern zur Verfügung stehen. Nun steht aber gerade in diesem Bereich eine große Universität der Künste auf dem Plan der Regierung. Ich halte das für sehr wichtig. Aber ebenso wichtig wäre auch die Verbesserung der aktuellen Angebote und Institutionen. Und das sollte bedeuten, sie mehr zu fördern und zu unterstützen.

Ein „Boom“ ist in Ecuador in den letzten Jahren die Entwicklung der Filmproduktion. Vorher musste man einige Jahre warten bis ein neuer Film produziert wurde. Heute sind es wenigstens 4 Produktionen, die jährlich in dem Kinosälen uraufgeführt werden. Seit einem 2006 entstandenem Filmgesetz (Ley de Cine) hat sich das Panorama drastisch geändert, denn es hat Rahmenbedingungen zur öffentlichen Förderung der Filmproduktion geschaffen. Trotz dieser Errungenschaft gab es z. B. im letzten Jahr eine große Enttäuschung: Das Publikum erschien nicht. Dieser geringe Besuch ist aber nicht ein ausschließliches Problem des Filmbereichs, sondern ist auch in vielen anderen festzustellen.

Ich selber bin eher im Theaterbereich zu Hause, wo trotz vieler Produktionen, die in der Regel anhand nur ganz geringer Mittel entstehen, auch Schwierigkeiten mit dem Erscheinen des Publikums vorkommen. Das hat selbstverständlich mit mehreren Faktoren zu tun, wie Bildung und einer gewissen Einübung zu kulturellem Angebot, also einer Frage im Bereich der Publikumspflege, in welchem auch noch viel zu tun ist.

Eine positive und interessante gesellschaftliche Entwicklung ist in den letzten Jahren im Bereich der Museen und Ausstellungszentren der Stadt Quitos zu beobachten. Es entstanden sehr gut organisierte Initiativen, die inklusiv und kreativ gestaltet sind, und so wurden Museen und Gemeinschaftszentren zu lebendigen Orten. Viele dieser Organisationen verdanken ihre neue Charakteristik zum großen Teil auch der Kooperation mit der freien Szene oder mit dem Dritten Sektor.

WELCHE AUFGABE HAT IN DIESEM PROZESS DIE POLITIK? UND WELCHE ROLLE SPIELT DIE KULTURPOLITIK IN ECUADOR?

Für mich ist bis jetzt noch keine klare Kulturpolitik in Ecuador vorhanden. Das ist ein strittiges Thema, denn eine „ley organica de culturas” ist zwar schon seit Jahren in Arbeit, verbleibt aber weiterhin nur in Debatte. Ein Kulturministerium gibt es erst seit 7 Jahren, und in dieser kurzen Zeit gab es schon 5 verschiedene Minister, aber oder vielleicht gerade deswegen keine deutliche Vision. Im Verlauf der Gesetzesvorlage entstanden unter den Künstlern und Kulturförderern viele Erwartungen, die Ergebnisse waren bisher jedoch nicht so positiv: viel Bürokratie, fast ausschließliche Förderung von wettbewerbenden Fonds, schlecht strukturierte Veranstaltungen, Unentgeltlichkeit der geförderten Veranstaltungen (was andere Künstler und Organisationen schadet) und viele Beschränkungen zu thematischen Inhalten.

Das Kulturministerium hat schon wichtige Themen als Richtlinien aufgestellt, wie Dekolonialisierung (descolonización) der Kultur, Schutz von Kulturerben und anderen Kulturgütern. Aber unter vielen Kulturmachern entsteht ein Gefühl der Einschränkung, wenn sie etwas schaffen wollen, das nicht zu den Richtlinien passt. Ebenso gibt es keine klare Trennung zwischen Staat und Regierung. Und das ist natürlich ein großer Nachteil nicht nur für die Künstler, sondern für die ganze Gesellschaft.

Außer den oben genannten Herausforderungen, wäre eine klare Kulturpolitik erforderlich, die zu einem permanenten Dialog mit den verschiedenen Akteuren der Kulturlandschaft offen ist.

Ein wichtiges Thema sind für mich die Netzwerke. Meines Erachtens ist in ihnen eine gute Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu erkennen wie auch zum organisierten Druck auf politischer Ebene. Netzwerke von Künstlern und Organisationen sind meiner Meinung nach noch schwach, haben aber trotzdem ein großes Potential.

WAS FÄLLT DIR IN DER DEUTSCHEN KULTURLANDSCHAFT BESONDERS AUF?

Was mir in Deutschland als Erstes auffiel, ist dass man nicht in einer Millionenstadt wohnen muss, um kulturelle Angebote zu finden. Als Zweites ist mir die Anwesenheit des Publikums aufgefallen. Vielleicht war es bis jetzt eben reiner Zufall, aber in allen Bühnenveranstaltungen, die ich bisher besuchte, egal welcher Art (Qualität, Format, Berühmtheit, Ort), habe ich hier in Deutschland immer voll besuchte Räume vorgefunden oder fast volle. Und ein interessiertes, anspruchsvolles und hauptsächlich anwesendes Publikum ist eben für jede kulturelle Aktivität entscheidend wichtig.

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